Der starke Mittelstand ist ein Markenzeichen Deutschlands. Er ist von elementarer Bedeutung für Innovation, Beschäftigung und Wachstum und bekannt für seine hohe Qualität, sein Engagement und seine Unternehmenskultur, die auf Vertrauen und langfristigen Beziehungen beruht. Werte wie Verlässlichkeit, Vielfalt und Flexibilität zeichnen ihn aus. Die Reaktionen auf die Geschehnisse des vergangenen Jahres haben uns einmal mehr gezeigt, wie leistungsstark und resilient unser Mittelstand ist.
Das Jahr 2022 hat uns aber auch vor Augen geführt, dass unser Wirtschafts- und Wohlstandsmodell gravierende strukturelle Schwächen aufweist. Lange Jahre konnte Deutschland als offene Volkswirtschaft von der Globalisierung profitieren. Wir hatten viele, gut ausgebildete Fachkräfte und produzierten mit niedrigen Energiekosten. Dadurch konnten wir Standortnachteile wie hohe Steuern und Abgaben, eine komplexe Bürokratie sowie langwierige Genehmigungsverfahren kompensieren. Doch nun treiben die hohe Inflation, eine nur schleppend voranschreitende Modernisierung, der Fachkräftemangel, ein hoher Verwaltungsaufwand und Unsicherheiten bei der Energieversorgung die Kosten für das Wirtschaften in unserem Land in die Höhe.
Es ist höchste Zeit, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wiederherzustellen. Dafür brauchen wir den Mittelstand. Er trägt maßgeblich zur wirtschaftlichen Stabilität Deutschlands und zum Fortschritt bei. Diese Kraft und dieses Potential gilt es zu schützen und zu stärken. Dafür haben wir unterschiedliche Hebel:
Steuern
Unsere hohe Steuerbelastung stellt jetzt, da sie nicht mehr durch vorteilhafte Standortfaktoren nivelliert wird, einen echten Wettbewerbsnachteil dar. Entsprechend abschreckend wirkt unsere Besteuerung auf diejenigen Unternehmen, die grundsätzlich bereit wären, sich in Deutschland niederzulassen. In Zeiten eines internationalen Steuerwettbewerbs wären zusätzliche Abgaben und Steuern Gift für den Aufschwung. Sie führen zu Verunsicherung und nicht zu mehr Verlässlichkeit. Was wir stattdessen brauchen, sind Steuermodernisierung, Steuervereinfachung und Steuerfairness: Deshalb erarbeiten wir ein Gesetz, dass das Steuersystem transparenter und in seiner praktischen Handhabung einfacher macht. Wirtschaftliche Dynamik und mehr Investitionen entstehen nur durch steuerliche Entlastung der Betriebe, nicht durch höhere Belastungen.
Investitionen
Unseren gewaltigen Investitionsbedarf werden wir nur durch privates Kapital decken können. Deutschland braucht mehr private Investitionen in die Klimaneutralität, die Digitalisierung, in neue Produkte oder innovative Geschäftsmodelle. Wir werden daher ein steuerliches Maßnahmenpaket auf den Weg bringen, mit dem wir Anreize für Investitionen und Innovationen schaffen und die notwendige Transformation und Modernisierung der Wirtschaft unterstützen. Wir prüfen außerdem, wie Abschreibungsbedingungen für kleine und mittelständische Unternehmen die Investitionstätigkeit und die Resilienz verbessern können.
Mit einem Zukunftsfinanzierungsgesetz soll künftig Start-ups, Wachstumsunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen der Zugang zum Kapitalmarkt und die Aufnahme von Eigenkapital erleichtert werden. Das kann auch für größere, etablierte Unternehmen attraktiv sein, um mit einer Alternative zum klassischen Bankdarlehen die Unternehmensfinanzierung auf mehrere Säulen zu stellen. Als ein erwünschter Nebeneffekt stärkt das Gesetz außerdem die Aktienkultur und damit die Vermögensbildung der breiten Bevölkerung.
Unsere Pläne für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung begünstigen nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Start-ups: Die geplante wesentliche Erhöhung des Steuerfreibetrags bei Gewährung von Vermögensbeteiligungen ist auch in etablierten Unternehmen ein wichtiger Baustein in Bezug auf Mitarbeiterfindung, -bindung und
-motivation.
Fachkräfte
Denn das wichtigste „Kapital“ der Wirtschaft sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für alle Modernisierungsaufgaben der Zukunft werden qualifizierte Fachkräfte gebraucht. Doch trotz rekordhoher Erwerbstätigkeit gibt es derzeit hunderttausende offene Stellen. Viele Projekte bleiben liegen, weil die klugen Köpfe zur Umsetzung fehlen. Der Fach- und Arbeitskräftemangel hat sich in vielen Branchen zu einem echten Wachstumshindernis entwickelt.
Hier ist die Bundesregierung auf dem richtigen Weg für den notwendigen Kurswechsel. Neben mehr Investitionen in die Aus- und Weiterbildung wollen wir mehr qualifizierte Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland für Deutschland zu gewinnen. Dafür muss unser Land attraktiver werden. Mit der Chancenkarte und der Erfahrungssäule setzen wir auf neue Formen der Einwanderung. Ich werde mich außerdem dafür einsetzen, die Verfahren zur Einwanderung weiter zu digitalisieren und zu entbürokratisieren.
Transformation
Die digitale Transformation ist die Voraussetzung für internationale Wettbewerbsfähigkeit. Noch steckt sie allerdings vielerorts im Papierstau fest.
Transformation geschieht nicht per Knopfdruck oder mithilfe eines neuen Werkzeugs. Transformation ist ein andauernder, gemeinschaftlicher Prozess. Politik, Verwaltung und Wirtschaft müssen den Wandel zulassen, sich anpassen und in neue Technologien investieren. Dies erfordert neben Überzeugungskraft und Durchhaltevermögen oft auch erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen. Gleichzeitig eröffnet der technologische Fortschritt aber auch neue Perspektiven, Märkte und Geschäftsfelder. Hiervon profitiert, wer mutig und agil voran geht.
Dabei müssen wir darauf achten, dass auch unsere deutschen Schlüsselindustrien und unsere Hidden Champions beim Tempo der Transformation mithalten können. Ein Gesetz ist bisweilen schneller geändert als eine Produktionsstraße. Bei der Gesetzgebung werden wir deshalb auch die Anpassungsmöglichkeit der deutschen Wirtschaft mitberücksichtigen, ohne sie durch weitere Vorgaben zu belasten.
Bürokratie und Planungsbeschleunigung
Unternehmen brauchen ordnungspolitische Rahmen, aber keine Überregulierung. Bürokratie hemmt unternehmerische Freiheit, Innovation und damit Wachstum und Fortschritt. Daher prüfen wir bei jeder neuen Regelung, wie wir diese möglichst bürokratiearm ausgestalten und umsetzen können.
Gleiches gilt für die schnellere Planung und Genehmigung von Infrastrukturprojekten. Deutschland ist als Industrienation auf eine intakte und moderne Infrastruktur angewiesen. Aktuell befinden sich die öffentlichen Investitionsausgaben auf Rekordniveau. All‘ das hilft aber nicht, wenn wir die Kabel nicht in die Erde, den Asphalt nicht auf die Straße und den Stahlträger nicht unter den Brückenpfeiler bekommen. Beschleunigte Verfahren können maßgeblich zur Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland beitragen. Der extrem schnelle Aufbau der LNG Flüssiggasterminals hat das gezeigt und sollte zum Maßstab für das neue Tempo in Deutschland werden.
Ziel ist und bleibt es, auch über die Krise hinaus die Regelungsdichte für Unternehmen auf das notwendige Mindestmaß zu reduzieren. Dafür werden wir uns auch in der Europäischen Union einsetzen.
Der Mittelstand ist der Garant für den Erhalt der Marktwirtschaft und ihrer Werte. Denn hier finden sich die wahren Unternehmerinnen und Unternehmer, die Risiken eingehen sowie Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen. Als Rückgrat der Wirtschaft ist er von elementarer Bedeutung für unser Land und seine Zukunft. Gemeinsam wird es uns gelingen, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wiederherzustellen und damit das Fundament für unsere Zukunft zu legen.
Christian Lindner im Sommer 2023